Vom Feeling her ein gutes Gefühl #2
Ein Newsletter zwischen Strategie, Nachhaltigkeit und Fußballweisheiten. Hier gibt es was zum Lesen 📚 Schauen 👀 und Hören 🎧
Von meinem Schreibtisch ✍️
Wie können wir Nachhaltigkeit durch neue Geschichten in den Mainstream bringen?
Seit 1977 haben Wissenschaftler*innen von ExxonMobil vor den Gefahren des Klimawandels gewarnt und mehr oder weniger genau das Szenario vorausgesagt, vor dem wir heute stehen.1
Auch heute liegt es nicht an der Uneinigkeit der Wissenschaft: 99,9% der wissenschaftlichen Arbeiten zwischen 2012 und 2020 zum Thema Klimawandel sind sich bezüglich der menschlichen Ursache einig.2 Die Faktenlage könnte also nicht klarer sein.
“Saving our planet is now a communications challenge. We know what to do, we just need the will.” – David Attenborough
Wie Marketing unsere Geschichte der Realität beeinflusst
Ich habe vor kurzem den empfehlenswerten Kurs „Sustainable Marketing, Media and Creative“ an der University of Cambridge abgeschlossen. In einem der Module geht es um den „Brainprint“3 von Marketing und die Fragen: welchen Einfluss haben die erzählten Geschichten auf Menschen? Welches Weltbild vermitteln sie? Welche Zukunft legen sie nahe?
“The human mind is a story processor, not a logic processor.” - Jonathan Haidt
Um das greifbarer zu machen, stellen wir uns drei prototypische Werbungen vor:
X-beliebige 🚘 -Werbung: ein Mann mittleren Alters fährt mit einem SUV durch die Stadt und grinst selbstbewusst in die Kamera
X-beliebige 🍔 -Werbung: wir sehen ein Burger-Menü zum Angebotspreis und die Aufforderung, an einem Loyalitätsprogramm teilzunehmen
X-beliebige 👗 -Werbung: zwei Frauen stehen am Strand und lächeln sich an, der rabattierte Preis ihrer Kleidungsstücke ist gekennzeichnet
Im Einzelnen sind das alles kleine Geschichten. Geschichten, die wir (ob wir wollen oder nicht) irgendwie verarbeiten müssen. Wir reihen Einflüsse, die wir im Unterbewusstsein wahrnehmen, in unsere persönliche implizite Erzählstruktur ein (Narrative Bias)4.
Bezogen auf die obigen Beispiele könnte das bedeuten:
🚘 „Ein eigenes Auto zu haben bedeutet Freiheit“ / „Alleine mit dem Auto fahren ist ganz normal“
🍔 „Fleisch geht auch günstig“ / „Oft Fast Food essen lohnt sich“
👗 „So sieht man als Frau in dem Alter aus“ / „Der Preis ist für das Kleid angemessen“
Was an den Beispielen deutlich wird - Marketing hat einen großen Teil dazu beigetragen, die Geschichten aufzubauen. Also führt auch kein Weg am Marketing vorbei, neue Geschichten zu schreiben.
"Das ist Schnee von morgen." - Jens Jeremies
Veränderung fängt nicht bei Angst an
Ein Großteil der Nachhaltigkeitskommunikation nährt das Narrativ „Alles ist eh schon verloren“. Während wissenschaftliche Arbeiten keinen Spielraum für kreatives Storytelling lassen, können Marken die Berichterstattung und Ansprache der Menschen steuern. Futerra-Research hat bewiesen: Angst als Motivator ist am wenigsten effektiv, um Verhalten von Menschen zu verändern.5
Was könnte dann den Rahmen für neue mainstream-fähige Nachhaltigskeitsgeschichten geben?
Elemente wirkungsvoller Nachhaltigkeitsgeschichten
Element #1: Positives Zukunftsbild
„Gegen den Klimawandel“ „Below 1.5“ oder „There is no Planet B“ sind alles richtige Zustandsbeschreibungen. Allein einen Worst Case zu verhindern, macht aber wenig Lust auf die Zukunft. Man muss doch wissen, wofür man es macht, ansonsten kann man sich direkt wieder hinlegen.
Eine bessere Debattenkultur, ein Leben in Einklang mit der Natur oder technologischer Fortschritt im Sinne der Menschen wären Beispiele für ein positives Zukunftsbild, eine optimistische Vorstellung von dem, was kommen kann.
Element #2: Klarer Anti-Held
Unternehmen wie BP oder ExxonMobil verschleiern seit Jahrzehnten den Klimawandel. 2004 hat BP gemeinsam mit Ogilvy & Mather den „Carbon Footprint Calculator“ eingeführt und damit die Verantwortung für den Klimawandel öffentlichkeitswirksam an jede*n einzelne*n weitergegeben.6 Die Ursache des menschengemachten Klimawandels sind fossile Brennstoffe, die Unternehmen und Lobby-Arbeit dahinter müssen zum Anti-Helden der Geschichte werden.
Element #3: Packende Storyline
„Was werden deine Kinder in 20 Jahren von dir denken?“
„Wenn du nichts tust, machst du dich schuldig!“
Das mag auf einer Klima-Demo funktionieren, wird die breite Masse aber nicht zu einer Veränderung ihres Verhaltens führen.
Hier sind zwei Ansätze für andere Storylines:
Nachhaltigkeit normalisieren
Nachhaltigkeit muss raus aus der Öko-Ecke und rein in den Mainstream. Statt mit erhobenem Zeigefinger zu predigen, geht es darum, nachhaltiges Verhalten als das Normale darzustellen. Wie selbstverständlich greifen wir zum Mehrwegbecher oder steigen aufs Rad – nicht weil wir müssen, sondern weil's einfach Sinn macht.
IKEA's "Lagom collection" 7
“Lagom” bedeutet so viel wie nicht zu viel und nicht zu wenig - mit der Kampagne von 2020 hat IKEA Menschen dazu angeregt, mit einfachen Tricks nachhaltiger zu leben. Ein gutes Beispiel wie Marken auf unaufgeregte Weise das Thema Nachhaltigkeit in ihre Kommunikation einbetten können.
Den Anfang einer globalen Bewegung schaffen
Kiel hat es als erste deutsche Stadt geschafft, als Zero Waste City zertifiziert zu werden.8 Und ist damit in guter Gesellschaft, immer mehr Städte auf der ganzen Welt schließen sich zusammen, um sich gegen Einwegplastik zu wehren. Die Städte tauschen sich aus, pushen sich zu ambitionierteren Zielen und feiern gemeinsam ihre Erfolge.
Die Bewegung macht Nachhaltigkeit greifbar und lokal, es geht nicht um abstrakte Ziele (Schöne Grüße an “climate neutral by 2050” 👋🏻), sondern um konkrete Veränderungen vor der Haustür. Auch hier können sich Bürger*innen wie auch Marken beteiligen und im Kleinen einen Unterschied machen.
Element #4: Gemeinschaft statt perfekter Nachhaltigkeits-Held
Geschichten der Gemeinschaft und Imperfektion statt Einzelpersonen zu Helden zu machen. Es geht nicht darum alles richtig zu machen, Nachhaltigkeit ist kein Wettbewerb.
Es ist ein Gemeinschaftsprojekt ohne Starallüren, genau wie in der Kreisklasse. Auch da gewinnt selten die Mannschaft mit dem selbstverliebten Starspieler, sondern das Team, das geschlossen zusammenhält, vom Torwart bis zum Grillmeister. Statt Vorzeige-Ökos auf das Podest der unerreichbaren Nachhaltigkeit zu stellen, sollten wir die Schritte des gemeinschaftlichen Fortschrittes feiern.
Element #5: Zukunftsorientierte Werte verankern
Von Mehr Kaufen = Mehr Glück Zu Weniger ist mehr
Von Geiz ist geil Zu Wer gibt, ist glücklich
Von Das Maximum herausholen Zu Genug ist genug
Von Natur ist unser Service Zu Wir sind ein Teil der Natur
Von Individualkonsum Zu Gemeinschaftlicher Zukunft
9
Die neuen Geschichten sind keine Entweder-Oder-Entscheidung, es fließen unterschiedliche Komponenten zusammen. Zum Abschluss zeigt ein Beispiel von dem norwegischen Paketdienst Posten, wie ein Unternehmen seine eigene Rolle kritisch beleuchtet und Menschen mit einer kraftvollen Metapher emotional abholt.
Wichtige Einordnung:
Das Bewusstsein für den „Brainprint“ des Marketings ist nur eine Seite, die Messung und Honorierung erfolgreichen Marketings eine andere. So lange wirtschaftliche KPI’s dominieren und ESG-relevante Kriterien nachgelagert sind, können konventionelle Unternehmen schnell Glaubwürdigkeitsprobleme bekommen. Neben einer neuen Art des Storytellings ist das starke Fundament im Unternehmen essenziell. Als Marketingleitung eines Ölkonzerns kann ich diesen Beitrag also gerne vernachlässigen. 🤓
Disclaimer:
Ich bin am Anfang meiner Reise zu mehr Nachhaltigkeit. Wenn du Anmerkungen zum Text hast oder ich was von dir lernen kann, meld’ dich gerne bei mir (mail@bennisinger.de).
To Read 📚
240 Seiten
Morgan Housel - Same as Ever
Gerade in schnelllebigen Zeiten, in denen ein Trend Report den nächsten jagt, war dieses Buch eine erdende Erfahrung. Das Buch ist voller Aha-Momente und Weisheiten über Dinge, die sich nie verändern werden. Ein paar Ausschnitte davon:
“The first rule of a happy life is low expectations. If you have unrealistic expectations you’re going to be miserable your whole life. You want to have reasonable expectations and take life’s results, good and bad, as they happen with a certain amount of stoicism.”
“Predicting what the world will look like fifty years from now is impossible. But predicting that people will still respond to greed, fear, opportunity, exploitation, risk, uncertainty, tribal affiliations, and social persuasion in the same way is a bet I’d take.”
“Just like evolution, the key is realizing that the more perfect you try to become, the more vulnerable you generally are.”
Der Autor hat einen tollen Newsletter (-> Collaborative Fund) und davor ein weiteres sensationelles Buch geschrieben (-> Psychology of Money).
To Watch 👀
(29:28)
Es ist zwar schon einige Wochen her, aber der Talk von der re:publica ist mir in Erinnerung geblieben. Barbara Blaha erzählt eine mit tollen Metaphern gespickte Geschichte, die einerseits Missstände benennt und gleichzeitig den Bogen spannt, dass es für echte Veränderung immer einige wenige gab, die das Undenkbare in die Realität gebracht haben.
To Listen 🎧
(72 Min.)
Meine Podcast-Empfehlung ist ein Interview mit Kevin Kelly, der mit über 70 das Buch “Excellent advice for living: Wisdom I wish I’d known earlier”10 rausgebracht hat. In dem Podcast stecken viele schlaue Sachen, vor allem seine kindliche Neugierde finde ich inspirierend. Doch beruhigend, dass sich Alter und Neugierde nicht ausschließen. Ein paar Ratschläge (teils aus dem Podcast, teil aus dem Buch):
„Don’t keep making the same mistakes; try to make new mistakes.”
“The greatest killer of happiness is comparison. If you must compare, compare yourself to you yesterday.”
“In 100 years a lot of what we take to be true now will be proved to be wrong, maybe even embarrassingly wrong. A good question to ask yourself today is ‘What might I be wrong about?’ This is the only worry worth having.”
“Generally, say less than necessary.”
In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal! 👋🏻
"Ich sage nur ein Wort: Vielen Dank!“ Horst Hrubesch
Über mich:
Ich bin Benni, arbeite seit vielen Jahren als Marken-und Kommunikationsstratege für große wie kleine Marken und bin von der Idee fasziniert, wie Marke(ting) und Nachhaltigkeit in Zukunft besser zusammenpassen können. 💭
https://www.nytimes.com/2023/01/12/climate/exxon-mobil-global-warming-climate-change.html
https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimaforschung-klimawandel-mensch-ist-ursache-studie-1.5443664
https://www.cisl.cam.ac.uk/news/blog/power-and-potential-marketings-brainprint
https://www.psychologytoday.com/us/blog/science-choice/201612/what-is-narrative-bias
https://www.dandad.org/en/d-ad-creativity-to-address-sustainability-challenges-new-blood-advice/
https://www.nytimes.com/2021/08/31/opinion/climate-change-carbon-neutral.html
https://www.thedrum.com/news/2019/05/13/ikea-launches-0-lagom-collection-upcycle-cheat-sheet-sustainable-living
https://www.weforum.org/agenda/2024/04/kiel-zero-waste-city/
https://www.dandad.org/en/d-ad-creativity-to-address-sustainability-challenges-new-blood-advice/
https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1065899754?ProvID=11000533&gad_source=1&gclid=Cj0KCQjw-uK0BhC0ARIsANQtgGNINxGdG89xBcXMGAWzoIsRIOzHcEq8kf4M0gM9mkFtb7VB37T9CycaAj0mEALw_wcB
Solch ein wichtiges Thema für uns alle - auf so eine spannende Art geschrieben. Auch diese Ausgabe von "Vom Feeling her ein gutes Gefühl" war ein absoluter Genuss. Danke @Benni und weiter so!